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Offener Brief zur ARD-Reform

5. Februar 2024

Macht nicht kaputt, was Kultur macht

Die föderale kulturelle Vielfalt Deutschlands ist vielen Menschen ein Vorbild. Die Vielzahl hervorragender Theater, Opern und Festivals findet weltweit Bewunderung. Auch das im internationalen Vergleich bislang reichhaltige und vom Staat unabhängige Programm der öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäuser. Diese Foren einer unabhängigen Öffentlichkeit und Vielfalt sind nicht nur eine ästhetische Freude, sondern auch verfassungsgemäß demokratische Pflicht und Notwendigkeit.

In der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ Artikel 27 heißt es: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.“

Um dieses Recht zu wahren und um verschiedenen Stimmen, Perspektiven und Visionen Gehör zu verschaffen, braucht es in einer pluralistischen Gesellschaft den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk mit seiner bislang großen Bandbreite an Sendeformaten.

Anstatt diesen Schatz des kulturellen Gemeinwohls zu wahren und zu erweitern, wird seitens der Verantwortlichen eine Programmpolitik der Zentralisierung und Reduzierung betrieben.

Beispiel 1: Unter seinem Intendanten, dem ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke, streicht der SWR aktuelle Kultursendungen, Kritiken und Lesungen. Kai Gniffke spricht von „Transformation“.

Beispiel 2: Spitzentitel wie Salman Rushdies „Knife“ erhalten nur noch eine Rezension in der ganzen ARD. Vielfältige Information und Kritik ist die Grundlage einer qualifizierten Meinung.

Beispiel 3: Der BR schleift seine Kulturwelle Bayern 2, streicht ALLE Kulturprogramme und ersetzt die Vielfalt durch Monokulturen und Stundenuhren wie auf BR24. Mit dieser „Kulturoffensive“ hat die Kultur keine eigene Stimme mehr in der Primetime!

Das bedeutet im Klartext: Wenige Verantwortliche entscheiden über das Wenige, das besprochen wird und wie es besprochen wird. Der reinen Information fehlen der

Diskurs und das Nachdenken aus kultureller Perspektive. Ein gesellschaftspolitisches Muss unserer Demokratie.

Dieser Kahlschlag von Anspruchsvollem und Nachdenklichem – an sich schlimm genug – erfolgt zu einem Zeitpunkt, da wir uns als aufgeklärte Gesellschaft seit Tagen, Wochen und Jahren händeringend die Frage stellen, wie wir gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vorgehen sollen. Ein zentrales Mittel sind vielstimmiger Diskurs und Debatte. Eine offene Gesellschaft verteidigt sich, indem sie tolerante Vielfalt lebt und feiert, nicht durch Gängelung oder kulturelle Rationierung.

Während im Supermarkt weiterhin eine große Zahl austauschbarer Produkte die Regale beschwert, soll das kulturelle und mediale Leben auf das verzichten, was es kostbar und unbezahlbar macht: auf die Individualität menschlicher Perspektiven und Sprechweisen. Aber wir sind als Gesellschaft wohlhabend genug, um uns genau das zu leisten (in den letzten vierzig Jahren haben wir alle miteinander das Bruttosozialprodukt verdoppelt!). Der Angriff auf die Programmvielfalt in der ARD und im Bayerischen Rundfunk ist ein Angriff auf die demokratische Verfasstheit unseres Landes. Das darf nicht sein!

Macht nicht kaputt, was Kultur macht

4, Februar 2024
Jenny Erpenbeck, Dinçer Güçyeter, Felicitas Hoppe, Daniel Kehlmann, Navid Kermani, Alexander Kluge, Michael Köhlmeier, Dagmar Leupold, José Oliver (Präsident, PEN-Zentrum Deutschland), Kathrin Röggla (Vizepräsidentin Akademie der Künste, Berlin), Mithu Sanyal, Ingo Schulze (Präsident der Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung), Saša Stanišić, Uwe Timm, Ilija Trojanow

 

Pressekontakt:
Felix Hille
PEN-Zentrum Deutschland e.V., Fiedlerweg 20, 64287 Darmstadt
Tel.: 06151/627 08 23; Mobil: 0157/31382637; Fax.: 06151/293414
E-Mail: f.hille@pen-deutschland.de

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